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zondag 27 april 2014

Die Stigmatisierte Anna Katharina Emmerick im Lichte der anthroposophischen Geisteswissenschaft Rudolf Steiners Jacob Boveri


 bron: *Ein Nachrichtenblatt" - 8/2014

Die Stigmatisierte Anna Katharina Emmerick
im Lichte der anthroposophischen Geisteswissenschaft
Rudolf Steiners
Jacob Boveri


Das Ziel dieser Darstellung ist es, zu zeigen, wie die Visionen
der stigmatisierten Anna Katharina Emmerick der
anthroposophischen Geistesforschung Rudolf Steiners widersprechen.
Die Notwendigkeit einer solchen Darstellung
ergibt sich dadurch, dass in den letzten Jahren verschiedene
Autoren innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft
aufgetreten sind, die Anna Katharina Emmerick und
ihre Visionen protegieren, unterstützen und fördern. So
wurde gar ein Buch unter dem Titel “Sie sehen Christus:
Erlebnisberichte von der Passion und der Auferstehung
Christi - Anna Katharina Emmerick, Therese Neumann,
Judith von Halle - eine Konkordanz” von Wolfgang Garvelmann
publiziert, in welchem die Visionen dieser drei
Stigmatisierten nebeneinander gestellt und die Übereinstimmungen
und Konkordanzen zwischen ihnen aufgezeigt
werden. Wir finden bei den drei oben genannten, visionären
Stigmatisierten, dass ihre Visionen sich auf Themen
beziehen, die auch Rudolf Steiner in seinen Forschungen
betrachtet hat. Der Unterschied liegt also nicht in den Gegenständen
der Forschungsfragen, sondern in der Art, wie
Rudolf Steiner bzw. Stigmatisierte wie A.K. Emmerick,
Therese Neumann und Judith von Halle jeweils zu ihren
Erkenntnissen gekommen sind und zu welchen Resultaten
sie jeweils gelangen.
Rudolf Steiner selber musste darum ringen, in Zusammenhang
mit dem Ereignis des Mysteriums von Golgatha zu
geistigen Erkenntnissen zu kommen, insbesondere was das
Fünfte Evangelium betrifft. Er beschreibt dies folgendermassen:
“Ich will durchaus nicht sagen, dass ich heute schon imstande
bin, alles das präzise zu sagen, was sich in der geistigen
Schrift darstellt. Denn gerade ich fühle mancherlei Schwierigkeiten und Mühe, wenn es sich darum handelt,
Bilder, die sich auf die Geheimnisse des Christentums beziehen,
aus der Akasha-Chronik zu holen. Ich fühle Mühe,
diese Bilder zu der nötigen Verdichtung zu bringen, sie
festhalten zu können, und betrachte es gewissermaßen als
mein Karma, daß mir die Pflicht auferlegt ist, dies zu sagen,
was ich eben ausspreche.” (GA 148, 2.10.1913)
Rudolf Steiner selbst hatte also “[...] mancherlei Schwierigkeiten
und Mühe, [...] Bilder, die sich auf die Geheimnisse
des Christentums beziehen, aus der Akasha-Chronik
zu holen.” Seiner inneren Anstrengung verdanken wir die
Bilder aus der Akasha-Chronik. Keine Geschenke der
geistigen Welt, sondern seiner geistigen Kraft gemäß sind
die Erkenntnisse, die er durch seine Fähigkeiten gewonnen
hat. Jene Bilder, zu denen Anna Katharina Emmerick und
andere stigmatisierte Menschen kommen - Bilder, durch
welche sie von außen wie in Sturmeswellen überwältigt
werden, die ihnen nicht bewußt und kontrollierbar sind,
sondern als passiv erhaltene Geschenke der geistigen Welt
zukommen - solche Bilder unterscheiden sich grundlegend
von den Erkenntnissen, die Rudolf Steiner in seiner geistigen
Forschung erzielte. Diese visionären Bilder entstehen
dadurch, dass das Geistige in das Physisch-Leibliche hineingestoßen
wird, mit der Konsequenz, dass eine leibgebundene
Hellsichtigkeit bzw. leibliche Veränderungen
auftreten.
Dr. Eberhard Schickler, ein Mitarbeiter Dr. Ita Wegmans,
machte dazu bei der stigmatisierten Therese Neumann folgende
Beobachtungen:
“Der Anblick ist tief erschütternd wegen des Leides, für
dessen Erleben der Körper der Stigmatisierten ein Spiegel
ist, wie es ihn sonst nicht gibt. Aufgerichtet im Bett sitzt
ein Mädchen, es hält die Arme nach vorne empor, hat den
Blick der geschlossenen Augen wie nach vorne gerichtet.
Lauscht angestrengt in derselben Richtung. Das Gesicht ist
blutüberströmt. Auf beiden Seiten rinnt aus den Augen
Blut. Die Streifen ziehen über das Gesicht und den Hals
und verschwinden unter dem weissen Linnen. Der Mund
ist halb geöffnet. Zeitweise bewegen sich die Lippen wie
zum Sprechen; man hört keinen Laut. Manchmal ringt sie
die Hände in tiefem Mitleid. Die Bewegungen des Kopfes,
der Mimik und der Hände sind matt, wie traumhaft nachschaffend,
aber von grosser Ausdrucksfähigkeit, gar nicht
krampfhaft oder heftig, sondern ungemein leidvoll. Sie
wendet mehrmals den Kopf und Körper nach verschiedenen
Seiten. An den Händen sind die Wundmale der Kreuzigung
zu sehen. Sie bluten. Seltsam hebt sich dieses Rot
von der schimmernd hellen Haut ab.” (Natura: Eine Zeitschrift
zur Erweiterung der Heilkunst nach Geisteswissenschaftlicher
Menschenkunde. Herausgegeber: Medizinische
Sektion der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft
am Goethanum, Dornach. 2. Jahrgang, 1927/28)
“Der Körper spiegelte in den Bewegungen den Schmerz,
und es war, wie wenn er nachahmte alle Bewegungen des
Gekreuzigten aus der Schauung. Die Finger der jetzt
hocherhobenen Hand bewegten sich in einer Art, wie sie
Grünewald an seinem Gemälde der Kreuzigung festgehalten
hat.” (Ebd.)
“Dann sah ich wieder später die völlig Erschöpfte nach der
Ekstase in den Kissen liegen.” (Ebd.)
Aufgrund dieser Beschreibungen ihres Mitarbeiters E.
Schickler versuchte Ita Wegman in einem Aufsatz, dieses
Phänomen, wie sie sagte, “aus geisteswissenschaftlichmedizinischen
Gesichtspunkten” zu erklären. Man sieht
dabei in ihren Worten, wie Ita Wegman objektiv und aus
der Weisheit der Anthroposophie über die rätselhafte,
stigmatisierte Therese Neumann spricht. Die folgenden
Zitate sind ihrem Artikel entnommen:
“... Dasjenige, was bei Therese Neumann eingetreten ist,
ist wohl ein geistiger Vorgang, aber es kommt in ihrem
Fall doch sehr stark zur Vorschein, dass sie passiv in diesen
Geschehnissen drinnensteht, und dass die Erlebnisse
Stufe für Stufe verlaufen ohne eine Aktivität von ihr
selbst.” (Ebd.)
“Es macht aber diese Art des Eindringens der geistigen
Welt den Menschen nicht tüchtig, sondern erdenfremd und
nicht geeignet für irdisches Wirken. Im Sinne der jetzigen
Zeitführung liegt dies nicht.” (Ebd.)
“Es liegt z. B. in den sich immer wiederholenden gleichen
Erlebnissen, die von ihr nicht bewusst herbeigeführt und
auch nicht verhindert werden können, worin sich auch das
Passive des Vorganges zeigt, das Krankhafte, so wie auch
das Gefährliche ihres Zustandes, das sie auch in Lebensgefahr
bringen kann.” (Ebd.)
“Dass die Wundmale bis in den physischen Leib sichtbar
auftreten und nicht nur als Sensation empfunden werden,
Liegt daran, dass der physische Leib erdenfremd geworden
ist, zugleich aber doch eine grosse Anziehungskraft
hat zu dem Geistigen, wie es in einer richtigen Geistesschulung
auch entstehen muss. Krankhaft ist aber hier die
Unfähigkeit, einer Ausgleich zu schaffen zwischen geistigen
Geschehen und irdischer Auswirkung, was damit zu
erklären ist, dass das Geistig-Seelische nicht in der richtigen
Art eine systematische Schulung durchgemacht hat.”
(Ebd.)
“Es ist nicht ein nachzufolgender Weg, der etwa aus einer
gesunden geistigen Entwicklung heraus betreten werden
soll. Bewusst und willentlich, unter vollständiger Beherrschung
aller auftretenden Erscheinungen, muss der Weg in die geistige Welt heute gegangen werden. Dazu gibt uns
die Anthroposophie Rudolf Steiners die nötigen Anleitungen.”
(Ebd.)
Schon Rudolf Steiner warnte vor solchen Wegen, welche
Veränderungen des physischen Organismus mit sich bringen
und scheinbar zur Geisterkenntnis führen. In seiner
Geheimwissenschaft im Umriß, heißt es in dem Kapitel
“Die Erkenntnis der höheren Welten”:
“Ein zweites Mißverständnis wäre, wenn man glaubte, irgendeine
zum übersinnlichen Erkennen führende Seelenverrichtung
habe etwas mit Veränderungen der physischen
Organisation zu tun. Es haben solche Verrichtungen vielmehr
nicht das geringste zu tun mit irgend etwas, in das
Physiologie oder ein anderer Zweig der Naturerkenntnis
hineinzureden hat. Sie sind so ganz von allem Physischen
abliegende rein geistig-seelische Vorgänge wie das gesunde
Denken und Wahrnehmen selbst. Der Art nach geht in
der Seele durch eine solche Verrichtung nichts anderes
vor, als was vorgeht, wenn sie gesund vorstellt oder urteilt.
So viel und so wenig mit dem Leibe das gesunde Denken
zu tun hat, so viel und so wenig haben mit diesem die
Vorgänge der echten Schulung zur übersinnlichen Erkenntnis
zu tun.” (GA 13)
Ähnliche Hinweise finden sich an vielen weiteren Stellen
im Gesamtwerk.
“Alles, was sich anders zum Menschen verhält, ist nicht
wahre Geistesschulung, sondern ein Zerrbild derselben.”
(Ebd.)
Deutlich und klar beschreibt Rudolf Steiner hier, wie der
wahre anthroposophische Schulungsweg absolut nichts zu
tun hat mit Veränderungen des physischen Organismus.
Und wenn man die Visionen Anna Katharina Emmericks
studiert, und diese vergleicht mit den Ergebnissen der
anthroposophischen Geistesforschung Rudolf Steiners,
dann findet man tatsächlich, dass sie “ein Zerrbild derselben”
darstellen.
*
Wir werden jetzt, um die obigen Argumente noch deutlicher
zu machen, zwei Beschreibungen des Lebens Jesu
Christi betrachten. Dabei werden jeweils drei Schilderungen
der betreffenden Szenen einander gegenübergestellt:
der Wortlaut des Evangeliums, die Beschreibungen Anna
Katharina Emmericks, sowie die Erläuterungen Rudolf
Steiners.”
Die Speisung der Fünftausend
Evangelium
“Und die Apostel kamen bei Jesus zusammen und verkündeten
ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Und
er sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte
und ruht ein wenig. Denn es waren viele, die kamen und
gingen, und sie hatten nicht Zeit genug zum Essen.
Und sie fuhren in einem Boot an eine einsame Stätte für
sich allein. Und man sah sie wegfahren, und viele merkten
es und liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin zusammen
und kamen ihnen zuvor. Und Jesus stieg aus und sah die
große Menge; und sie jammerten ihn, denn sie waren wie
Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing eine lange
Predigt an.
Als nun der Tag fast vorüber war, traten seine Jünger zu
ihm und sprachen: Es ist öde hier und der Tag ist fast vorüber;
lass sie gehen, damit sie in die Höfe und Dörfer
ringsum gehen und sich Brot kaufen. Er aber antwortete
und sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen! Und sie
sprachen zu ihm: Sollen wir denn hingehen und für zweihundert
Silbergroschen Brot kaufen und ihnen zu essen
geben? Er aber sprach zu ihnen: Wie viel Brote habt ihr?
Geht hin und seht! Und als sie es erkundet hatten, sprachen
sie: Fünf und zwei Fische. Und er gebot ihnen, dass
sie sich alle lagerten, tischweise, auf das grüne Gras. Und
sie setzten sich, in Gruppen zu hundert und zu fünfzig.
Und er nahm die fünf Brote und zwei Fische und sah auf
zum Himmel, dankte und brach die Brote und gab sie den
Jüngern, damit sie unter ihnen austeilten, und die zwei Fische
teilte er unter sie alle. Und sie aßen alle und wurden
satt. Und sie sammelten die Brocken auf, zwölf Körbe
voll, und von den Fischen. Und die die Brote gegessen
hatten, waren fünftausend Mann.”(Markus 6:30-44, Luther)
Anna Katharina Emmerick
“Die vielen Menschen aber hatten nichts zu essen. Schon
am vorigen Tag waren sie ihm nachgezogen, und ihr kleiner
Vorrat, den sie mit sich getragen, war aufgezehrt. Viele
unter ihnen wurden ganz schwach und schmachteten
nach Nahrung. Die Apostel, dies wahrnehmend, traten zu
Jesus mit der Bitte, die Lehre zu schließen, damit die Leute
vor Nacht sich Herberge suchen und Speise verschaffen
könnten. Jesus aber erwiderte: ‘Sie brauchen darum nicht
hinwegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen!’ Da sprach Philippus:
‘Sollen wir gehen, um für ein paar hundert Denare
Brot zu kaufen und ihnen zu essen zu geben?’ Er sagte
dies mit einiger Verdrossenheit, weil er glaubte, Jesus mute
ihnen die große Mühe zu, für die ganze Menge Brot aus
der Gegend zusammenzuschleppen. Jesus versetzte aber:
‘Seht zu, wie viele Brote ihr habt!’ und fuhr in seiner Lehre
weiter. Es hatte ein Knecht den Aposteln fünf Brote und
zwei Fische von seinem Herrn zum Geschenk gebracht,
was Andreas Jesus mit den Worten meldete: ‘Was ist das
für so viele?’ Jesus aber befahl, diese Brote und Fische herbeizubringen, und als sie auf den Rasen vor ihm gelegt
waren, lehrte er noch weiter von der Bitte um das tägliche
Brot. Viele Leute wurden ohnmächtig, und Kinder weinten
nach Brot. Da sprach Jesus zu Philippus, ihn auf die
Probe stellend: ‘Wo kaufen wir Brot, daß diese zu essen
bekommen?’ und Philippus erwiderte: ‘Zweihundert
Denare reichen nicht hin für alle diese.’ Nun sprach Jesus:
‘Lasset das Volk sich niedersetzen, die Hungrigsten zu
fünfzig, die andern zu hundert und bringt mir die Brotkörbe,
welche vorhanden sind!’ Sie setzten eine Reihe flacher,
von breitem Bast geflochtener Brotkörbe zu ihm hin
und verteilten sich unter das Volk, das sich um den Berg
lagerte, der treppenförmig und mit schönem langem Gras
bewachsen war, zu Hunderten und zu Fünfzigen. Sie lagen
nun tiefer, als Jesus stand, am Abhang des Berges. Während
die Jünger die Leute zu fünfzig und hundert zum Essen
niederlegen ließen und sie dabei zählten, was Jesus
ihnen befohlen hatte, ritzte er alle fünf Brote mit einem
beinernen Messer vor und schnitt die Fische, die der Länge
nach gespalten waren, in Querstreifen; dann hob er eines
der Brote auf den Händen empor und betete, so auch
einen der Fische. Vom Honig erinnere ich mich es nicht.
Es waren ihm aber drei Jünger zur Seite. Jesus segnete nun
die Brote, die Fische und den Honig und begann das Brot
der Quere nach in Streifen zu brechen und diese Streifen
wieder in einzelne Teile. Und jeder Teil ward wieder groß
und hatte wieder Ritzen. Jesus brach die einzelnen Teile,
die so groß waren, daß ein Mann daran satt hatte, und gab
sie hin und die Stücke Fische ebenso. Saturnin, der zur
Seite stand, legte immer ein Stück Fisch auf ein Stück
Brot, und ein junger Jünger des Täufers, ein Hirtensohn,
der später Bischof wurde, legte auf jede Portion ein Stückchen
Honig. Die Fische nahmen nicht merklich ab, und die
Honigwaben schienen zu wachsen. Thaddäus aber legte
die Portionen Brot, worauf ein Stück Fisch und etwas Honig,
in die flachen Körbe, welche nun zu den hungrigsten,
die zu fünfzig aßen, zuerst gebracht wurden. Sobald die
leeren Körbe zurückkamen, wurden sie immer mit gefüllten
umgetauscht; und diese Arbeit dauerte ungefähr zwei
Stunden, bis alle gespeist waren.” (Aus der römischkatholischeen
Zeitschrift Einsicht, 28. Jahrgang, Nummer
4, München Oktober 1998\6)
Die Speisung der Fünftausend ist bei Anna Katharina
Emmerick, die sie als Vision erlebt, bis in die kleinsten
Details als physisches Geschehnis geschildert, das sich vor
zweitausend Jahren physisch auf der Erde sich zugetragen
hat. “Jesus segnete nun die Brote, die Fische und den Honig
und begann das Brot der Quere nach in Streifen zu
brechen und diese Streifen wieder in einzelne Teile. Und
jeder Teil ward wieder groß und hatte wieder Ritzen. Jesus
brach die einzelnen Teile, die so groß waren, daß ein
Mann daran satt hatte, und gab sie hin und die Stücke Fische
ebenso” (Ebd.).
Wenn wir dieses Geschehnis als ein physisches Hervorzaubern
von Broten und Fischen betrachten, wie sie es in
ihren Beschreibungen schildert, dann haben wir es mit einem
magischen Akt zu tun. Hat der Christus Jesus irgend
etwas zu tun mit magischen Akten?
Schauen wir nun, was Rudolf Steiner zu diesem rätselhaften
Ereignis zu sagen hat.
Rudolf Steiner
„Sagt er uns irgendwo, daß auch nur die wenigen Brote
und die wenigen Fische so gegessen wurden, wie sonst
physisch gegessen wird? Nirgends sagt er das, und wenn
Sie das ganze Johannes-Evangelium durchgehen. Er sagt
Ihnen klar und deutlich, wenn Sie nur jedes Wort wörtlich
nehmen, daß der Christus das Brot brach, daß er aber ein
Dankgebet zum Himmel richtete: «Jesus aber nahm die
Brote, dankte und gab sie den Jüngern, die Jünger aber denen,
die sich gelagert hatten; desselbigengleichen auch
von den Fischen, wieviel sie wollten.» (Mk 6,11) Aber der
Sinn dieser Worte, wenn wir sie im Urtext nehmen - er ist
schlecht wiedergegeben in den deutschen Worten -, ist etwa
der folgende: Die Jünger gaben die Brote und die Fische
weiter, und einen jeden ließen sie damit machen, was
er wollte; keiner aber wollte damit etwas anderes, als in
diesem Momente das empfinden, was als Kraft ausgeht
von dem mächtigen Ätherleibe des Christus Jesus. Keiner
wollte etwas anderes. Und wodurch wurden sie satt? Im
23. Verse heißt es: «Es kamen aber andere Schiffe von
Tiberias nahe zu der Stätte, da sie das Brot gegessen hatten
durch des Herrn Danksagung.» Durch das Gebet des
Herrn hatten sie das Brot gegessen! Sie hatten Brot gegessen,
ohne daß sich der physische Akt vollzogen hatte. Und
dadurch konnte der Christus Jesus das Geschehene hinterher
interpretieren, daß er sagt: «Ich bin das Brot des Lebens!
» Was also hatten sie gegessen? Die Kraft des Christus-
Leibes hatten sie gegessen! Sie hatten nicht die Gerstenbrote
gegessen. Sie hatten die Kraft gegessen, die von
dem Christus ausgegangen war. Und sie waren satt geworden
durch die Kraft, die von dem Christus ausgegangen
war durch die Danksagung, indem der Christus an diejenigen
Sphären appellierte, aus denen er heruntergekommen
ist.” (GA 112, 7.7.1909)
“Zu was wollte er sie erziehen? Was ist denn eigentlich im
Grunde genommen diese ganze Erzählung von der Brotvermehrung,
das eine Mal durch Verteilung von fünf Broten
unter Fünftausend, die Überreste geben zwölf Körbe
voll; das zweite Mal durch Verteilung von sieben Broten
unter Viertausend, die Überreste geben sieben Körbe voll
? Ja, das war immer eine sonderbare Sache für die Bibel erklärer. Heute sind die Erklärer darin übereingekommen,
daß sie sagen: Die Leute haben halt Brot mit sich gehabt;
und als sie angeordnet worden sind, reihenweise, da haben
sie ihre Brocken ausgepackt. Das ist ja das, was heute
sozusagen als Übereinkommen selbst bei denjenigen dasteht,
die so recht festhalten wollen am Evangelium. Wenn
man allerdings die Sachen in dieser äußerlichen Weise
nimmt, dann sinken sie zu einer äußeren Draperie, zu einer
äußern Zeremonie herunter. Man weiß nicht, warum dann
die ganze Sache erzählt wird. Auf der anderen Seite darf
man natürlich auch nicht an schwarze Magie denken; denn
das wirkliche Hervorzaubern von einer ausgiebigen Menge
Brot aus fünf, beziehungsweise sieben Broten wäre
schwarze Magie. Aber es kann sich nicht um schwarze
Magie handeln, auch nicht um einen Vorgang, der besonders
zurechtgerückt erscheint für die Philister, wie wenn
die Leute Brot mitgebracht und ausgepackt hätten. Es ist
dabei etwas Besonderes gemeint.
Bis dahin hat der Christus ihnen die Gleichnisse ausgelegt,
jetzt läßt er über sie kommen ein neues Hellsehen. Und
was sehen sie? Sie sehen in umfassenden Bildern die
Menschheitsentwickelung, sie sehen die Zukunft, sie sehen,
wie allmählich heranrücken zu dem, was der Impuls
des Christus ist, die Menschen der Zukunft. Was hier erzählt
wird als die zweimalige Brotvermehrung, im Geistigen
haben es die Jünger gesehen. Ein hellseherischer Akt
ist es. Und als hellseherischer Akt ist er so wie ein anderer
hellseherischer Akt, er huscht vorüber zunächst, wenn
man seiner ungewohnt ist. Daher verstehen die Jünger ihn
so lange nicht.
Das ist es überhaupt, was uns nun in den folgenden Vorträgen
immer intensiver beschäftigen wird am meisten
wird es ersichtlich im Markus-Evangelium, daß die Erzählungen
vom äußeren Sinnensein übergehen in Wiedergabe
von hellseherischen Momenten und daß wir das Evangelium
nur verstehen, wenn wir es vom Gesichtspunkte der
geistigen Forschung aus auffassen.” (GA 139, 20.9.1912)
Rudolf Steiner stellt die Speisung der Fünftausend als einen
übersinnlichen Akt dar, der vollzogen wird, um die
Jünger des Christus Jesus von der geistgen Macht seines
Ätherleibes zu unterrichten und ihnen zu zeigen, wie sie
durch diese heilenden, Christus-Kräfte die armen, “geistig”
hungrigen Menschen “geistig” zu ernähren vermögen.
Eine bloss physische Speisung einer derart grossen Zahl
von 5.000 Menschen wäre eine nette Geste, aber eigentlich
sinnlos. Und ein Hervorzaubern von genügend Nahrung
für 5.000 Menschen aus den zwei Fischen und fünf Broten
wäre nach Rudolf Steiner “schwarze Magie”. “Aber es
kann sich nicht um schwarze Magie handeln, denn “ein
hellseherischer Akt ist es”, nicht eine “...äußere Zeremonie”.
Jesus wandelt über das Meer
Evangelium
”Und alsbald trieb er seine Jünger, in das Boot zu steigen
und vor ihm hinüberzufahren nach Bethsaida, bis er das
Volk gehen ließe. Und als er sie fortgeschickt hatte, ging
er hin auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war
das Boot mitten auf dem See und er auf dem Land allein.
Und er sah, dass sie sich abplagten beim Rudern, denn der
Wind stand ihnen entgegen. Um die vierte Nachtwache
kam er zu ihnen und ging auf dem See und wollte an ihnen
vorübergehen. Und als sie ihn sahen auf dem See gehen,
meinten sie, es wäre ein Gespenst, und schrien; denn sie
sahen ihn alle und erschraken. Aber sogleich redete er mit
ihnen und sprach zu ihnen: Seid getrost, ich bin's; fürchtet
euch nicht!, und trat zu ihnen ins Boot, und der Wind legte
sich. Und sie entsetzten sich über die Maßen; denn sie waren
um nichts verständiger geworden angesichts der Brote,
sondern ihr Herz war verhärtet.”(Markus 6:45-52)
Anna Katharina Emmerick
“Das Schiff Petri mit den Aposteln und mehreren Jüngern
wurde durch widrigen Wind in der Nacht aufgehalten. Sie
ruderten sehr und wurden doch aus der Richtung der Überfahrt
mehr gegen Mittag getrieben. Da wandelte Jesus
über das Meer von Nordost gegen Südwest. Er leuchtete,
es war ein Schimmer um ihn, und man sah seine Gestalt zu
seinen Füßen umgekehrt im Wasser. Von der Gegend von
Bethsaida-Julias gegen Tiberias zu wandelnd, welchem
gegenüber das Schiff Petri sich ungefähr befand, ging er
quer durch die beiden Nachtwachenboote durch, welche
von Kapharnaum und von jenseits eine Strecke ins Meer
gefahren waren. Die Leute in diesen Booten sahen ihn
wandeln, erhoben ein großes Angstgeschrei und bliesen
auf dem Horn; sie hielten ihn für ein Gespenst. Die Apostel
auf dem Schiffe Petri, welches nach dem Licht jener
Wachtschiffe sich richtete, um wieder in die rechte Bahn
zu kommen, schauten auf und sahen ihn heranziehen. Es
war, als schwebe er schneller, als man geht; und da er nahte,
ward das Meer still. Es war aber Nebel auf dem Wasser,
und sie erblickten ihn erst in einer gewissen Nähe.
Wenn sie ihn gleich schon einmal so wandeln gesehen,
jagte ihnen doch der fremde gespenstige Anblick einen
großen Schrecken ein, und sie schrien. Als sie sich aber an
das erstmalige Wandeln erinnerten, wollte Petrus abermals
seinen Glauben beweisen und rief in seinem Eifer wieder:
‘Herr, bist du es, so heiß mich zu dir kommen!’ Und Jesus
rief abermals: ‘Komm!’ Petrus lief diesmal eine viel größere
Strecke zu Jesus; aber sein Glauben reichte doch
nicht aus. Als er schon dicht bei Jesus war, dachte er wieder
an die Gefahr und fing an zu sinken, streckte die Hand aus und rief: ‘Herr, rette mich!’ Er sank aber nicht so tief
wie das erste Mal, und Jesus sagte wieder zu ihm: ‘Du
Kleingläubiger, warum zweifelst du?’ Als Jesus aber in
das Schiff trat, eilten sie zu ihm, warfen sich ihm zu Füßen
und sagten: ‘Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!’ Jesus aber
verwies ihnen ihre Furcht und Kleingläubigkeit, hielt eine
ernstliche Strafrede und lehrte noch vom Vaterunser. Er
befahl ihnen mittäglich zu fahren. Sie hatten einen guten
Wind, fuhren sehr schnell und schliefen etwas in dem Kasten
unter den Ruderstellen um den Mast. Diesmal war der
Sturm nicht so groß als neulich; sie waren aber in den
Trieb des Sees gekommen, der in der Mitte sehr stark ist,
und konnten nicht heraus. Jesus ließ den Petrus auf dem
Wasser zu sich kommen, um ihn zu demütigen, indem er
wohl wußte, daß er sinken werde. Petrus ist sehr eifrig und
stark glaubend und hat eine Neigung, im Eifer seinen
Glauben Jesus und den Jüngern zu zeigen. Indem er aber
sinkt, wird er vor Stolz bewahrt.” (Aus der römischkatholischen
Zeitschrift Einsicht, op. cit.)
Auch in dieser Vision erlebt Anna Katharina Emmerick
ein physisch-sinnliches Ereignis. Mit der Klarheit und
Präzision einer Sinneswahrnehmung sieht sie Jesus wirklich
auf dem Meer wandeln. So sinnlich ist dieses Ereignis
für sie, dass “...man […] seine Gestalt zu seinen Füßen
umgekehrt im Wasser [sah].” (Ebd.) Zudem erlebt sie in
ihrer Visionen nicht nur Jesus auf dem Meer, sondern auch
Petrus: “Als er schon dicht bei Jesus war, dachte er wieder
an die Gefahr und fing an zu sinken, streckte die Hand aus
und rief: ‘Herr, rette mich!’ Er sank aber nicht so tief wie
das erste Mal...” (Ebd.).
Wie schildert nun Rudolf Steiner anhand seiner geisteswissenschaftlichen
Forschung dieses Ereignis des Wandelns
Jesu auf dem Meer?
Rudolf Steiner
“Erinnern Sie sich, daß nicht nur im Markus-Evangelium,
sondern überhaupt in den Evangelien eine besondere Offenbarung,
eine besondere Manifestation, gerade mit dem
«See» verbunden wird, so, wenn die Jünger über den See
hinfahren und der Christus ihnen erscheint, sie ihn zuerst
für ein Gespenst halten, dann aber gewahr werden, daß er
in Realität an sie herantritt (Mk 6, 45-52). Und auch sonst
können Sie verfolgen, daß in den Evangelien öfter die Rede
ist von einem Ereignis, das am See oder durch den See
stattfindet. Und der Ausdruck «an den See gehen» ist auch
nicht bloß symbolisch gemeint, sondern er ist gerade deshalb
gewählt, weil das Mit-dem-See-in-Berührung-
Kommen das imaginative Schauen, das Anwenden der okkulten
Kräfte begünstigt. Es werden schon bestimmte
Kräfte angewendet, so, wenn Heilkräfte oder Schaukräfte
entfaltet werden, wenn gesprochen wird vom «am See
sein», wenn davon die Rede ist, daß ein Ereignis an den
See verlegt wird. Daher erscheint der Christus Jesus den
Seinigen an dem See in der Imagination, nur daß er real in
dem ganzen Ereignis darin steckt, weil er sich exteriorisieren
kann. Die Jünger sehen ihn, dennoch aber haben sie
ihn nicht im physischen Leibe vor sich. Aber weil der
Ortsunterschied bei einem solchen Erlebnis nichts bedeutet,
deshalb ist er zugleich «bei ihnen», am See.” (GA 139,
22.9.1912)
Rudolf Steiner beschreibt also dieses Ereignis als ein von
den Jüngern erlebtes, jedoch nicht wie bei Anna Katharina
Emmerick auf physisch-sinnliche, sondern in hellseherisch-
imaginativer Weise. “Daher erscheint der Christus
Jesus den Seinigen an dem See in der Imagination...”
(Ebd.). “Die Jünger sehen ihn, dennoch aber haben sie ihn
nicht im physischen Leibe vor sich” (Ebd.).
*
Aus einer solchen Darstellung sollte für jeden objektiv
Wahrheitssuchenden klar werden, wie Anna Katharina
Emmerick geistige Geschehnisse mit physisch-sinnlichen
Ereignissen verwechselt. Die Darstellungen ihrer Visionen
haben teilweise durchaus wahrhaftigen Charakter, aber da
sie ihre Fähigkeiten nicht durch eine reguläre geistige
Schulung erarbeitet hat und ihre Hellsichtigkeit nicht geistig
frei durch eigene innere Aktivität erworben und lenkbar
ist, sondern leibgebunden passiv empfangen wird, ist
alles, was sie sieht, von unsicherer Natur und kann Täuschungen
unterlegen sein. Irdische Beobachtungsart gehört
zu irdischen Geschehnissen - übersinnliche Ereignisse
müssen durch eine andere Beobachtungsart betrachtet
werden. Rudolf Steiner drückt dies so aus:
“Es muß dies wirklich ernst genommen werden, daß Hellsichtigkeit
nicht angestrebt werden soll so, daß bloß die
umgewandelte Anschauungsform des physischen Planes
hinaufgetragen wird, sondern daß eine neue Art der Anschauung
für die höheren Plane erstrebt wird, eine neue
Anschauungsweise der geistigen Welt...” (GA 253,
14.9.1915)
Anna Katharina Emmerick sieht in ihren Visionen die sogenannten
“Wunderereignisse” so, wie ein materialistisch
gesinnter Mensch sie sich vorstellen würde. Ein solcher
Mensch würde diese “Wunder” als Ereignisse vorstellen,
die nicht übersinnlich, sondern zwar physisch sind, zugleich
jedoch die physischen Gesetzmässigkeiten überwinden.
Rudolf Steiner hat diese “Wunder” durch seine
geisteswissenschaftliche Forschung anders erklärt:
“Und die «Wunder»: Sie bieten der mystischen Erklärung
nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sie sollen die physische
Gesetzmäßigkeit der Welt durchbrechen. Das tun sie nur so lange, als man sie für Vorgänge hält, die sich im
Physischen, im Vergänglichen so zugetragen haben sollen,
daß sie die gewöhnliche Sinneswahrnehmung hätte ohne
weiteres durchschauen können. Sind sie aber Erlebnisse,
die nur auf einer höheren, auf der geistigen Daseinsstufe
durchschaut werden können, dann ist es von ihnen selbstverständlich,
daß sie nicht aus den Gesetzen der physischen
Naturordnung begriffen werden können.” (Das
Christentum als mystische Tatsache, GA 8- Kapitel- Die
Evangelien)
Und nicht nur in der Vergangenheit aufgetretenen Persönlichkeiten
wie Anna Katharina Emmerick und Therese
Neumann sollte unser Augenmerk heute gelten, sondern
auch solchen, die in der Gegenwart innerhalb unserer
anthroposophischen Gemeinschaft wirken – Persönlichkeiten,
die einen Zugang zur geistigen Welt haben und
dadurch Ereignisse wie das Mysterium von Golgatha in
Visionen erleben können, welche jedoch versinnlichtleibgebundenen
Charakter haben, anstatt rein übersinnlich
und leibfrei zu verlaufen. Die Anthroposophie braucht wache,
mutige Seelen, die bereit sind, alles dafür zu tun, dass
das wahre Christentum gehütet und in einer lebendigübersinnlichen
Art erfasst und gelehrt wird.


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