Translate

maandag 15 oktober 2012

GA 127, 11.30.1911 DER DREIFACHE RUF AUS DER GEISTIGEN WELT


ANHANG
DER DREIFACHE RUF AUS DER GEISTIGEN WELT
Notizen aus einem Vortrag zur Einweihung des Zweiges Heidenheim
Heidenheim, 30. November 1911
Wir haben uns heute an diesem Ort versammelt, um die Einweihung
des Heidenheimer Zweiges zu begehen. Es haben sich zu dieser Feier
Freunde aus verschiedenen Gegenden eingefunden, um den hiesigen
Freunden ihre Teilnahme zu beweisen.
Es hat sich hier in dieser Stadt im Laufe der Jahre eine Anzahl Menschen
zusammengeschlossen, deren innerer Herzensdrang sie zu gemeinsamer
spiritueller Arbeit in geisteswissenschaftlicher Gesinnung zusammengeführt
hat.
Alles hat im Leben eine Wirkung. Gibt sich der Mensch einem Irrtum
oder einer Lüge hin, selbst wenn er sich dessen nicht in seinem gewöhnlichen
Bewußtsein bewußt ist, so ist es doch im Unterbewußtsein
vorhanden, wo es nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern für
die ganze Weltentwickelung als zerstörende Kraft wirkt. Ebenso wenn
der Mensch sich mit den Kräften der Wahrheit verbindet, wirkt das
als lebenschaffende Kraft weiter für die ganze Welt- und Menschheitsentwickelung.
Es gibt in unseren sieben Kulturepochen drei Punkte, die entscheidend
für die Fortentwickelung der Menschheit sind, das sind:
Der erste Ruf, der an diese Menschheit erscholl mit Donnerstimme
herab vom Berge Sinai, als die Gebote Jehovas!
Der zweite Ruf in der Wüste durch den Täufer Johannes, als der
Täufer zu denen sprach, die ihn hören wollten: «Ändert den Sinn, denn
das Reich der Himmel ist nahe herbeigekommen»!
Der dritte Ruf, meine lieben Freunde, ist der, welcher aus den geistigen
Welten als Neuoffenbarung durch die Geisteswissenschaft oder
Theosophie verkündet wird!
Das Kind bei der Empfängnis, wenn die Seele aus geistigen Sphären
in diese Welt der physischen Gesetze herabsteigt, ist eine Erinnerung
und ein Symbolum an den Moment des ersten Donnerrufes vom Sinai
in den Gesetzen.
Und wenn dann das Kind in seinen ersten Lebensjahren den Moment
erlebt, wo es anfängt die Sprache zu gebrauchen, aber sich noch keine
Gedanken darüber macht, die Sprache lernt, ohne seine schlummernden
denkerischen Fähigkeiten noch zu benützen, so ist das im einzelnen
Menschen die Zeit des der Menschheit ertönenden zweiten Rufes durch
Johannes den Täufer, dem Rufer in der Einsamkeit.
Wenn dann in einer späteren Periode seines Lebens das Kind anfängt,
die Sprache zu verstehen durch Nützung und Entwickelung seiner
Denkkräfte, so ist das die Spiegelung des der Menschheit ertönenden
dritten Rufes durch die Geisteswissenschaft: die Neuoffenbarung
zum Verständnis dessen, was in den Evangelien niedergelegt ist als das
Evangelium vom Mysterium von Golgatha.
Geisteswissenschaft bringt den Menschen als Neuoffenbarung aus
den geistigen Welten das Verstehen dessen, was durch den zweiten Ruf
von Johannes angekündigt wurde und nach dem Mysterium von Golgatha
in der Schrift niedergelegt wurde. Durch Geisteswissenschaft,
den dritten Ruf unserer sieben Kulturepochen, wird der Mensch zum
Verständnis gebracht dessen, was der Christus Jesus sagte: Siehe, ich
bin bei euch alle Tage bis an das Ende des Erdenzyklus.
So wie damals sich nur ein kleiner Teil von Menschen fand, die den
zweiten Ruf hörten, so wird es auch in unserer Zeit nur ein kleiner Teil
sein können, der den dritten Ruf hört. Aber, meine lieben Freunde,
sollte der Ruf vorübergehen, ohne daß er gehört würde, so könnte die
Entwickelung der Menschheit nicht in der von den hohen geistigen
Wesenheiten beabsichtigten Weise geschehen.
Als eine unendliche Gnade dürfen wir es rückschauend ansehen, daß
es damals Menschen gegeben hat, die den zweiten Ruf vernommen
haben, und Dank sind wir diesen Seelen schuldig, daß dadurch die
Menschheitsentwickelung weitergeführt werden konnte. Wer es versteht,
die Zeichen der Zeit zu lesen, der weiß, was es heißt, den dritten
Ruf der lebendigen Neuoffenbarung zu vernehmen oder ihn ungehört
vorübergehen zu lassen.
Es gab eine Zeit, wo es hieß, nur zwei Wege gibt es für den Menschen:
Tut er Gutes, so wird ihm nach dem Tode die ewige Seligkeit;
tut er Böses, so muß er in ewige Verdammnis verworfen werden. - Die
Geisteswissenschaft verkündet ein anderes. Meine lieben Freunde, wir
wissen, daß der Mensch ein kompliziertes Wesen ist, daß er aus physischem
Leib, Äther- oder Lebensleib, Astralleib und Ich besteht. Wenn
nun der Mensch anfängt an eine spirituelle Welt zu glauben, sich mit
Glaubenskräften zu durchziehen, so ist diese Glaubenskraft eine Kraft
des Astralleibes. So ist der Astralleib der «Glaubensleib».
Durch Glaube im Glaubensleib ringt sich der Mensch hinauf zu
Liebeskräften. Diese sind Kräfte des Äther- oder Lebensleibes. So ist
der Äther- oder Lebensleib der «Liebeleib». Könnten die Menschen
sich nicht mit Glaubenskräften zu den spirituellen Welten durchdringen,
so würden ihre Vorstellungs- und Gedankenkräfte immer
öder, leerer, verknöcherter. Zu keiner Liebekraft könnte der Mensch
sich emporschwingen. Was wäre der Mensch ohne Liebe? - Vereinsamen
müßte er, keinen Zusammenhang könnte er nach und nach mehr
haben mit seinen Mitmenschen und Mitgeschöpfen der Natur. Der
Mensch muß Liebe entwickeln können, das gibt ihm allein wahre Lebenskraft,
indem er dem Egoismus entsagt und sich gestaltet zu wahrer,
unegoistischer Liebe im Liebe- oder Ätherleib.
Wenn wir in die Natur hinausschauen, lernen wir die Wahrheit von
der Reinkarnation der individuellen Seele erkennen. Schauen Sie hinaus.
Was würden Sie für ein Gefühl haben müssen beim Ersterben der
Pflanzenwelt im Herbst, wenn Sie denken müßten: Alles ist tot, es
sproßt, keimt, blüht nie mehr! - Es wird oft gesagt: Wir wissen nicht,
was der Morgen bringt. Ja, ist denn das wirklich so? Wissen wir, wenn
wir heute unsere Arbeit mit Eifer und heiligstem Pflichtgefühl verrichten,
wissen wir da wirklich nichts vom anderen Morgen? Wir wissen,
daß morgen die Sonne wieder ihren Lauf beginnt und am Abend ihn
beschließt. Wir wissen, daß die Weltordnung weiter besteht. Ja, wie
wäre denn einem Menschen zu Mute, wenn er nie wüßte, ob am anderen
Tag die Sonne wieder scheint, ob die Tag- und Nachtkräfte,
Regen und Sonnenschein, ob der geregelte Rhythmus der Gestirne morgen
aufhört oder jeden Tag anders sich gestaltet? Mut- und kraftlos
müßte der Mensch an die Arbeit gehen, wenn er nicht wüßte, daß er sie
am folgenden Tag wieder aufnehmen wird und weiter arbeiten wird
an dem, was er begonnen hat.
So wahr der Frühling auf den Winter folgt und das, was als schlafender
Keim der Pflanzen im Inneren ihrer selbst ruht, wiedererweckt
wird, so wahr wird die Seele, welche den physischen Leib verläßt, den
Keim, der zurückgeblieben ist, wieder beleben und von neuem ihr Leben
auf dem physischen Plan aufnehmen und weiterführen zu ihrer und
der Menschheit Entwicklung. So gestalten sich aus den Liebekräften
die Hoffnungskräfte. Der physische Leib ist der «Hoffnungsleib». Was
wäre der Mensch ohne die Hoffnung auf den kommenden Morgen, auf
die Vollendung seiner begonnenen Arbeit, ohne die Hoffnung auf eine
Wiedervereinigung mit denen, die er im Leben geliebt hat. So darf die
Neuoffenbarung der Christus-Botschaft, die Theosophie oder Geisteswissenschaft,
die Lehre der Reinkarnation verkündigen trotz der aufgeklärten
Wissenschaft und Gelehrsamkeit, die sich draußen in der Welt
breitmacht und die übersinnlichen Welten leugnen will. Wenn wir dann
auch belächelt und bemitleidet werden, daß wir noch so abergläubisch
sind, so kann das Hinausschauen auf die Vorgänge in der Natur uns ein
Beweis sein für das, was uns Geisteswissenschaft verkündet.
Würde der dritte Ruf ungehört vorüberziehen, meine lieben Freunde,
so würde die Entwickelung der Menschheit nicht fortschreiten können,
und die Menschen, welche später auf diese Zeit zurückblicken würden,
wo der Ruf von uns nicht beachtet wurde, würden die Verantwortung
auf uns laden müssen. Wie wir aber dankbar zu den Menschenseelen
hinschauen, die damals den Johannesruf vernommen haben, so werden
die späteren Menschen dankbar zu den Seelen hinschauen, die den
heutigen, dritten Ruf vernahmen, damit die Menschheit weitergeführt
werde.
Wie die wenigen ersten Christen in den römischen Katakomben bei
ihren Toten ihre Andachtsversammlungen halten mußten, während
oben in der Arena die damaligen Tonangebenden in Wollust sich breitmachten
und diese ersten Christen den wilden Tieren vorwerfen oder
Brandfackeln aus ihnen machen ließen, wie aber diese Tonangebenden
auf einmal hinweggerafft wurden, so müssen wir uns heute in Räumen
versammeln, die unsere Freunde uns zur Verfügung stellen, oder auch
in solchen Räumen, die geistige Katakomben sind. Aber auch der tonangebende
Materialismus von heute wird weggerafft werden, und
Geisteswissenschaft wird die Menschheit weiterführen dürfen, wenn
der dritte Ruf gehört wird. Wer sagt Ihnen, ob nicht der eine oder
andere, der hier unter uns ist, damals diesen Johannesruf vernahm?
Wir alle haben auf diese oder jene Weise diesen zweiten Ruf vernommen
und müssen den dritten vernehmen, um der Menschheit die Möglichkeit
zu geben, weitergeführt zu werden.
Auf daß in dieser Stadt die Lehren der neuen Christus-Offenbarung
vernommen werden, haben die geistigen Mächte eine Anzahl von Menschen
durch inneren Herzensdrang zusammengeführt. Diejenigen
hohen, geistigen Individualitäten, welche berufen sind, an die Menschheit
diesen Ruf ergehen zu lassen durch ihre Boten, sind die Führer der
Menschheit.